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27.01.2021 in Methods

So klappt Remote Event Storming – Hands-on Tipps


Axel Lütgering
Axel Lütgering

Market & Community


Wie kann man nur auf eine so wahnsinnige Idee kommen, ein Format, das von Interaktion, Unruhe und Diskussion lebt, remote durchführen zu wollen, entgegen aller Warnungen, die im Netz zu sehen sind? Und auch noch mit einer großen Gruppe? Wir dachten uns: Lass es uns einfach mal probieren! Und das Ergebnis zeigt, es geht durchaus! Einige Learnings und Überlegungen möchten wir daher gerne teilen.

Was ist Event Storming?

Event Storming ist eine interaktive, gruppendynamische Brainstorming-Methode, basierend auf den Ideen des Domain Driven Design. Die Methode lebt davon, dass Fachleute, Entwickelnde, Stakeholder und Anwendende gemeinsam ein großes Bild von einem Geschäftsprozess entwerfen und dabei in lebhaften Diskussionen zu einer gemeinsamen Sprache, einem gemeinsamen Verständnis gelangen. Welches wiederum als Ausgangspunkt für weitere Verfeinerungen in kleinerer Runde dienen kann – beispielsweise nur mit dem Entwicklungsteam.

Bei der Einarbeitung in Event Storming taucht schnell das sehr gut geschriebene eBook von Alberto Brandolini (Onkel Brando, Ziobrando) auf. Obwohl Stand heute (Ende Januar 2021) noch nicht fertiggestellt, ist das Buch bereits das Standardwerk für Event Storming. Weiterführende Informationen und Best Practices zur Durchführung eines Event Storming-Events sind allerdings kaum vorhanden, ganz besonders im Hinblick auf eine Remote-Variante. BTW: Hier findet sich also eine echte Marktlücke, vielleicht verfasst ja jemand eine kurze, abgeschlossene Anleitung zum Thema und publiziert das, Verkaufserfolg garantiert!

Die Quellen die auffindbar sind, raten in der Regel von einer Remote-Durchführung ab. Die Umstände zwingen uns dennoch, ein solches Vorhaben anzugehen, da wir uns sehr hilfreiche Erkenntnisse von einem solchen Event erhoffen.

Organisation und Team

Da es in erster Linie um die Kommunikation geht – auch in kleinerer Runde – hatten wir zunächst die Idee, mit BreakOut-Rooms und Kleingruppen zu arbeiten. Wir haben uns aber letztlich dagegen entschieden, um das gemeinsame Verständnis, die gemeinsame Sprache („Ubiquitous Language“) zu fördern. Dabei kommt es entscheidend auf die Moderierenden an, auch vermeintlich „stille“ Teilnehmende zu ermuntern. Oft sind auch schon erste Sticky Notes vorhanden, die gezielt angesprochen werden können. Da die Moderation einer Großgruppe durchaus schwierig sein kann, haben wir uns entschieden, sie zu zweit zu übernehmen: einen Agile Coach für das „große Ganze“, als Facilitator und ein technikaffiner Product Owner für die vermeintlichen Detail- bzw. Technikfragen. So können sich die verschiedenen Skills optimal ergänzen.

Zudem ist es wichtig, das Energielevel während der gesamten Veranstaltung hoch zu halten und alle Teilnehmenden immer wieder einzubeziehen. Um das zu erreichen, wurde z. B. für eine ausreichende Pause gesorgt, in der wieder Energie und Kaffee getankt werden konnten.

Rückblickend waren unsere Entscheidungen richtig, da wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden sind.

Welche Technik kam zum Einsatz?

Als Konferenztool haben wir das bei Cloudogu bereits im Einsatz befindliche Google Meet verwendet, so dass hier keinerlei Einstiegshürde bestand. Das gemeinsame Whiteboard wurde durch Miro realisiert, für das wir uns nach einer kurzen Evaluation der unterschiedlichen Angebote entschieden haben, da es unsere Bedürfnisse zielgenau abbildet, auch für eine nachhaltige weitere Nutzung.

Für Event Storming mit Miro existieren bereits einige Hinweise zum Tech Onboarding im Netz (z. B. hier). Wir haben uns aber ganz bewusst dafür entschieden, einige Dinge anders zu machen, um unseren konkreten Gegebenheiten Rechnung zu tragen.

Das Tool bietet diese Optionen.

Gemeinsame Einstellungen Miro

Wir haben die Teilnehmenden gebeten, das Grid abzuschalten, aber Snap Objects beizubehalten. Obendrein haben wir uns gegen eine Sichtbarkeit der anderen Cursor entschieden, da deren permanente Bewegung bei einer Gruppengröße von > 20 zu einer starken Ablenkung führt. Die Größe der Sticky Notes haben wir nicht gemeinsam vorbelegt, da ein virtueller Stapel von digitalen Klebezetteln unterhalb unserer Arbeitsfläche für alle bereitgestellt war.

Zudem hat es sich als hilfreich erwiesen, im Plenum das Tool noch einmal relativ detailliert zu erklären, insbesondere die Zoomfunktionen, da der gefühlt infinit scrollbare Canvas von Miro sonst schnell dazu führt, dass die Orientierung verloren geht. Überhaupt ist das Thema „Maßstab“ in Miro eher schwierig und nicht einmal in den Templates einheitlich gelöst, hier muss jedes Team einen Weg für sich selbst finden. Oft ist es so, dass bereitgestellte Elemente aus den Templates nur schwer auffindbar sind, da sie klein am Rande des Canvas eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang kommt es vor allem auf eine einheitliche Größe an, so dass die Arbeitsfläche gut überschaubar ist, aber dennoch die Sticky Notes lesbar sind. Sehr hilfreich ist in jedem Falle für alle Teilnehmenden eine Maus mit Scrollrad und ein zweiter Screen, um Konferenztool und Miro gleichzeitig im Blick zu behalten.

Kleiner Tipp am Rande: Durch klicken auf den Zoomfaktor in Prozent, wenn ein Element ausgewählt ist, zoomt die Ansicht soweit heran, dass ein Befüllen mit Text bequem möglich ist.

In remote durchgeführten Workshops, in denen nicht alle Teilnehmenden auf den gleichen geteilten Bildschirm schauen, kann es manchmal schwierig sein alle das gleiche sehen zu lassen. Für diese Herausforderung bietet Miro die Möglichkeit die gesamte Gruppe während einer Session dazu zu bringen, einer Person zu folgen. So wird für alle immer der Bereich des Canvas angezeigt, der gerade von Interesse ist – grundsätzlich sehr praktisch. Leider können die User nicht aktiv “entfolgt” werden, so dass sie später jeden Zoomvorgang mitnehmen und die User selbst so nur eingeschränkt arbeitsfähig sind. Hier ist es hilfreich, sich noch ein zweites Miro-Fenster zu öffnen bzw. den Usern zu zeigen, wie sie den “Folgezustand” beenden können (z. B. durch eigene Aktivität). Das “Entfolgen” der User ist ein oft angefragtes Feature bei Miro, so dass hier sicher mittelfristig mit einer Verbesserung zu rechnen ist.

Ein Vorteil von Remote-Veranstaltungen ist, dass sie sehr einfach aufgezeichnet werden können und somit alle Details auch später noch zugänglich sind. Für unser Event Storming haben wir uns aber bewusst dagegen entschieden, um die Hürde, vermeintlich „dumme“ Sticky Notes zu kleben, möglichst niedrig zu halten. Denn gerade diese „dummen“ Post-Its bringen den Prozess entscheidend voran, da sie z.T. Denkfehler adressieren, Unwägbarkeiten oder Risiken im Prozess aufdecken und die Diskussion stark fördern. Bei einer laufenden Aufzeichnung halten sich Teilnehmende wahrscheinlich eher zurück, wenn sie sich bei einem Thema unsicher fühlen, da die Wortmeldung in der Aufzeichnung dokumentiert sein wird. Hier war es uns wichtiger eine lebhafte Diskussion als eine ausführliche Dokumentation zu haben.

Eine Enttäuschung stellt allerdings die Nutzung des Timers in Miro dar, hier bestätigt sich offensichtlich Einsteins Relativitätstheorie, einige Teilnehmende müssen fast mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs gewesen sein, da der Timer z.T. unterschiedliche Zeiten je nach User anzeigt. Hier haben wir wieder auf unser herkömmliches Tool VisualtimerApp zurückgegriffen.

Wie nutzen wir die Methode inhaltlich?

Elemente

Inhaltlich haben wir uns auf nur wenige Elemente des Events Stormings beschränkt und auf einer Flughöhe bewegt, die Fachlichkeit und Entwicklungsexperten gut zusammenführt. Konkret waren das:

Element Farbe
Event Orange
User Gelb
Command Blau

Hinzu kommt noch der WTF-Post-It, jugendfrei übersetzt als: „das große Fragezeichen“. Alle Stellen im Prozess, die nicht klar sind, mit Risiken behaftet oder noch einmal gesondert durchdacht werden sollten, werden mit diesem pinken Klebezettel markiert.

Events werden immer in der Vergangenheitsform notiert, als abgeschlossener Zustand. Auch hier sind wieder die Moderierenden gefordert, auf die Einhaltung der Regeln zu achten bzw. im zweiten Durchgang entsprechende Notes zu markieren. In Präsenzveranstaltungen werden diese Notes im 45° Winkel gehangen, Miro bietet die Möglichkeit bei Sticky Notes nicht, man muss diese zunächst in einen Shape umwandeln und dann drehen, dabei geht aber die optische Haptik der Notes verloren. Auch hier verbirgt sich noch Verbesserungspotenzial.

Ablauf

Wir haben uns dafür entschieden, das Event Storming von hinten zu beginnen, mit dem letzten abgeschlossenen Zustand des Prozesses. Dies soll in erster Linie den Blickwinkel verändern und zudem nicht die Diskussion sofort auf den in unserem Fall relevanten Conversion Funnel fokussieren. Auch damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, da wir den Prozess so feingranular betrachten konnten ohne in zu großen Schritten voranzuschreiten. Meiner Meinung nach begünstigt ein solches Vorgehen auch die intensive Diskussion unter den Teilnehmenden.

Miro-Board des Event Stormings

Wenn der Prozess grundsätzlich skizziert ist, gehen die Moderierenden diesen noch mehrmals durch und verbalisieren den angedachten Prozess mit der Bitte, sofort einzugreifen, wenn es Missverständnisse oder Unklarheiten gibt. Mit jedem Durchgang verfeinert sich das Bild und weitere Details und Implikationen werden sichtbar. Zeitlich hatten wir einen Termin von 2,5 h angesetzt mit 15 min Pause, für einen Remote-Versuch reicht das auch. Vor Ort kann diese Form des gemeinsamen Brainstormings deutlich länger angesetzt werden, da in diesem Falle die fruchtbaren Kleingruppendiskussionen im Fokus stehen.

Blitzlicht

Am Ende des Remote Event Stormings haben wir im Sinne des Inspect and Adapt noch ein kurzes Blitzlicht abgehalten, alle Teilnehmenden konnten ihre Einschätzung anhand einer Wettersymbolik abgeben. Auf Wunsch besteht auch die Möglichkeit sich explizit zu Wort zu melden.

Die gesamte Veranstaltung und auch die Durchführungsform wurde zumeist als sehr gut bewertet, die tolle Stimmung gelobt und als passende Form empfunden, sich einem solchen Thema zu nähern. Interessanterweise gab es auch Stimmen, die gerade die Durchführung mit Miro als einfacher empfunden haben als die Vor-Ort-Variante, bei der es deutlich schwieriger ist, alle Sticky Notes im Auge zu behalten und auch inhaltlich zu bewerten.

Blitzlicht mit Wettersymbolik

Welche Vorteile hat Event Storming gegenüber ähnlichen Methoden wie dem Story Mapping?

In unserem Unternehmen haben wir auch bisher sehr gute Erfahrungen mit dem Story Mapping gemacht, warum nun also das Event Storming? In meinen Augen eignet sich das Story Mapping zum einen mehr für reine Fachexperten, zum anderen erleichtert es durch Visualisierung und Chronologisierung den Zugang zu gänzlich neuen Themen. Im Event Storming geht es aber oft noch ein wenig detaillierter an die Themen heran, diese Methode erscheint besser für technikaffine bzw. gemischte Gruppen. Auch denke ich, dass sich das Event Storming besser eignet, wenn die Grundsätzlichkeiten eines Prozesses schon bekannt sind, bei einer völligen Neuentwicklung auf grüner Wiese, würde ich das Story Mapping vorziehen, bei Bedarfen nach feinerer Granularität das Event Storming.

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Fazit

Wir würden ein Event Storming immer wieder in Betracht ziehen, um ein umfassendes Bild von einem Prozess zu erlangen. Mit jeder Durchführung einer Methode in der Remote-Variante gewinnen wir mehr Erkenntnisse und können uns kontinuierlich verbessern. Wir sind überzeugt davon, dass ein solches Vorgehen auch bei vermeintlich schwierigen und komplexen Themen gut zu realisieren ist.